Die nachfolgenden Tipps für gute Haltung und schonende Bewegung zeigen Ihnen, wie Sie leichter und schmerzfreier durch den Alltag kommen. Wir beschränken uns dabei bewusst auf die häufigsten, täglich hundertfach ausgeführten Bewegungen wie Stehen, Sitzen, Aufstehen/Bücken etc. Wenn Sie sich für eine Rolfing-Behandlung entschieden haben, helfen Ihnen diese Tipps, die Wirkung der Behandlung zu unterstützen und nachhaltig zu machen

Gute Haltung durch Loslassen

Was sich im ersten Moment wie ein Widerspruch anhört, wird bei näherer Betrachtung zur Grundlage von leichter Aufrichtung und Bewegung. Eine gute Haltung muss nicht mit Kraftanstrengung und Anspannung verbunden sein. Vielmehr ist das Loslassen von Anspannung die Voraussetzung dafür, dass der Körper als Ganzes lang werden kann und gleichzeitig die individuellen Teile des Körpers in ein besseres Verhältnis zueinander gebracht werden können.  Das Loslassen ist dabei kein unspezifisches allgemeines Entspannen, sondern ein gezieltes Loslassen an bestimmten Stellen des Körpers. Beim gezielten Loslassen zur Einleitung einer Bewegung geschieht folgendes:

  • Das Entspannen der Muskeln bewirkt mehr Länge im Körper. Anspannen hingegen führt zu einer Verkürzung.
  • Das gezielte Loslassen bzw. das Entspannen der Muskeln senkt den Muskeltonus im betreffenden Körperabschnitt. So können Sie Ihren Körper ohne große Kraftanstrengung in eine Position bringen, in der er eine innere Stützung bekommt. Sie arbeiten nicht mehr gegen Ihre eigene Anspannung, sondern lassen die Bewegung geschehen.
  • Haben Sie diese innere Stützung gefunden, benötigen Sie weniger Spannung und spüren beim Stehen die Stützkraft des Bodens und beim Sitzen die der Sitzoberfläche ganz bewusst.

Wenn Sie durch das gezielte Entspannen oder Loslassen zu einer guten Haltung gelangen, benötigen Sie nicht mehr, sondern weniger Kraft. Wenn Sie die Gesetze der Physik so nutzen, wie sie in den nachfolgenden Tipps zu Bewegung und Haltung beschrieben sind, wird dies zu einer leichteren Bewegung und weniger Verspannungen und Verletzungen führen. Außerdem bekommen Sie dadurch mehr Energie für die Arbeit und die Freizeit.

In diesem und den beiden folgenden Blogbeiträgen werden wir Ihnen fünf Tätigkeiten vorstellen: Das Stehen, das Sitzen, Aufstehen/Hinsetzen/Bücken, das Liegen und das Atmen. Sie können die Tätigkeiten nacheinander ausprobieren und damit herumexperimentieren. Wenn Sie sich für eine Tätigkeit besonders interessieren, können Sie auch direkt an dieser Stelle einsteigen. Wichtig ist, dass Sie sich Zeit nehmen, tief durchatmen und Ihre Aufmerksamkeit nach innen lenken. Denken Sie daran, dass nach circa 15 Minuten Ihre Konzentration nachlässt und Sie dann mit dem Üben aufhören sollten.

Stehen und Sitzen

In diesem Betrag beschäftigen wir uns mit dem Thema Stehen und Sitzen.

Stehen

Die erste Tätigkeit, der wir uns widmen wollen, ist das Stehen.

  1. Stellen Sie sich aufrecht mit etwa hüftbreit auseinandergestellten Füßen hin. So ruht ihr Gewicht gleichmäßig verteilt auf Ihren Füßen. Ihre Arme hängen an entspannten Schultern locker herab.
  2. Lassen Sie nun Ihren Körper ein wenig zusammensinken. Lassen Sie das ganz bewusst zu und beobachten Sie Ihren Körper. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Sie feststellen, dass sich Ihr Becken dabei nach vorne schiebt. Denn fast immer verschiebt sich unsere Hüftachse beim Stehen etwas nach vorn. Noch etwas weiter nach vorne verschiebt sich die Hüftachse, wenn Sie nun noch bewusst die Muskulatur in Rumpf und Becken entspannen. Sie werden merken, dass Ihre Schultern nun nach vorne hängen, Ihr Brustkorb sich enger anfühlt und Ihre Atmung flacher ist.
  3. Richten Sie sich nun wieder auf.
  4. Ertasten Sie nun mit den Fingerspitzen beider Hände Ihr Schambein.
  5. Lassen Sie nun aktiv Ihre Bauchmuskeln los und dadurch das Schambein leicht Richtung Boden sinken. Gleichzeitig gleitet dieses leicht nach hinten. Jetzt entspannen Sie auch Ihre Gesäßmuskeln. Diese Bewegungen ermöglichen Ihnen, Ihre Hüftachse (eine gedachte horizontale Achse durch Ihre beiden Hüftgelenke) und somit Ihr Becken leicht nach hinten gleiten zu lassen.
  6. Lassen Sie Ihre Hüftachse so weit nach hinten gleiten, bis Ihr Oberkörper minimal nach vorne geneigt ist. Sie werden fühlen, wie der Schwerpunkt Ihres Oberkörpers ein klein wenig vor der Hüftachse liegt. Ihr Brustbein hängt etwas nach vorne, bleibt aber oben. Durch diese Bewegung wird der Abstand zwischen Brustbein und Schambein etwas größer; die Vorderseite Ihres Rumpfes wird lang. Ihr Oberkörper richtet sich auf, ohne dass Sie Kraft ausüben müssen.

Worauf Sie beim Ausführen dieser Bewegung achten sollten:

Spannen Sie beim nach-Hinten-Gleiten-Lassen nicht Ihren unteren Rücken an. Den würden Sie so nur stauchen. Lassen Sie immer zuerst die Bauchmuskeln und dann die Gesäßmuskeln los. Wenn Sie das Gefühl haben, dass sich Ihr Oberkörper ein wenig nach vorne schiebt, ist Ihr Körper im Lot, denn die Haltung wird sich anfangs etwas ungewohnt anfühlen.  Sobald Sie sich an diese neue Haltung gewöhnt haben, wird das Gefühl des gleich Nach-Vorn-Kippens durch die Wahrnehmung, durch den Boden gestützt zu werden, abgelöst werden.

Das sollten Sie fühlen:

Mit der neuen Haltung sollten Sie spüren, wie sich Ihr Gewicht genau über der Mitte Ihrer Füße befindet. Ihre Schultern hängen entspannt auf dem aufgerichteten Rumpf und Ihr Atem hat mehr Raum und wird dadurch tiefer.

Sitzen: Aufrecht, ohne Anlehnen

Sitzen ist, abgesehen von Liegen, wahrscheinlich die Position in der wir am meisten Zeit verbringen. Zunächst beschäftigen wir uns mit dem aufrechten Sitzen, ohne dass Sie sich dabei anlehnen. Auch für diese Tätigkeit wollen wir Ihnen eine kleine Übung bzw. ein Bewegungsbeispiel an die Hand geben, welche Sie zu Hause ausführen können.

  1. Nehmen Sie sich einen Hocker oder einen Stuhl mit einer harten Oberfläche. Setzen Sie sich darauf und stellen Sie die Füße leicht versetzt, etwa hüftbreit auseinander unter den Knien ab. (Siehe Abbildung)
  2. Nun lassen Sie Ihr Becken auf den Sitzbeinhöckern (das ist der Bereich des unteren Teils des Beckens, der beim Sitzen die Sitzfläche berührt) vor- und zurückrollen. Umfassen Sie dabei Ihr Becken seitlich mit beiden Händen wie auf der Abbildung 2. Dabei bleiben Sie im gesamten Oberkörper locker. Sie werden spüren, wie die Bewegung Ihres Beckens Ihren Brustkorb beeinflusst. Rollen Sie Ihr Becken nach hinten, sinkt das Brustbein dabei nach unten und der Brustkorb sinkt in sich zusammen. Sie werden merken, wie die Atmung in dieser Position etwas flacher wird, weil die Lungen weniger Platz zum Ausdehnen haben. Beinahe das gesamte Gewicht Ihres Oberkörpers lastet nun auf dem unteren Rücken. Ihre Lendenwirbelsäule wird dadurch gestaucht.
  3. Lassen Sie Ihr Becken jetzt nach vorne rollen. Ihre Oberschenkel lassen Sie bewusst locker. Versuchen Sie, zum Nach-Vorne-Rollen so wenig Kraft wie möglich aufzuwenden. Die Bewegung lässt sich ganz leicht ausführen. Sie werden spüren, wie Ihr Brustbein nach oben steigt. Ihr Oberkörper richtet sich langsam wie von selbst auf und streckt sich, wenn Sie nach vorn rollen. Dabei ist es wichtig, dass Sie das Steigen des Brustbeins merken. Ist dies nicht der Fall, dann wiederholen Sie die Bewegung und entspannen Sie bewusst Ihre Bauchmuskeln.
  4. Rollen Sie das Becken auf diese Weise einige Male vor und zurück. Sie werden merken, dass es in dieser Bewegung einen höchsten Punkt gibt. Erreichen Sie diesen, dann lassen Sie Ihr Becken noch ein winziges Stück nach vorn rollen. Lockern Sie dabei Ihre Bauchmuskeln und lassen das Schambein etwas in Richtung Boden sinken. Das Brustbein soll dabei möglichst hoch und etwas nach vorn hinaus hängen.
  5. Lassen Sie jetzt das Gewicht Ihres Rumpfes sich senkrecht nach unten senken. Dabei werden Sie spüren, dass Sie nicht mehr in sich zusammen sinken sondern von unten durch das Becken gestützt werden.

Das sollten Sie fühlen:

Der Schwerpunkt Ihres Oberkörpers befindet sich direkt über der Mitte des Beckens und Ihr Gewicht ist nicht mehr so weit hinten im Rücken konzentriert. Sie merken, wie Ihr Oberkörper von unten gestützt und aufgerichtet wird, ohne dass Sie dafür Kraft aufwenden müssen. Schultern und Arme hängen entspannt herab und Ihr Kopf ist frei beweglich.  Sie fühlen, wie sich Ihr Atem im gesamten Oberkörper ausbreiten kann. Sie werden die Atmung auch im Rücken und im Bauchraum spüren.

Keine Angst vor einem Hohlkreuz

Wenn Sie mit leicht nach vorn gekipptem Becken sitzen, entsteht eine leichte Kurve im unteren Rücken. Dies ist kein Hohlkreuz, sondern entspricht der natürlichen Kurve der Lendenwirbelsäule (Lordose). Befindet sich Ihr Körper in dieser Position, ist er aufgerichtet und maximal lang und die Lendenwirbelsäule hat die größte Stabilität. Allerdings soll die Lordose nicht durch das starke Durchdrücken des Rückens mithilfe der Muskeln entstehen, sondern nur durch das oben erklärte leichte Nach-Vorn-Rollen des Beckens.

Sitzen mit Anlehnen

Die eben beschriebene Art des Sitzens ist vor allem für das aufrechte Sitzen ohne Anlehnen geeignet. Oft sitzen wir aber auch in einem Sessel, im Auto oder auf der Couch. Dieses Sitzen ist ganz anders, da unser Oberkörper dabei meist mehr oder weniger stark nach hinten geneigt ist. Der Schwerpunkt des Oberkörpers liegt dabei nicht mehr leicht vor, sondern eindeutig hinter den Sitzbeinhöckern. Das Becken kann ihn so nicht mehr auf die gleiche Art stützen wie beim aufrechten Sitzen.. Deswegen widmen wir uns dem Sitzen mit Anlehnen mit einem weiteren Bewegungs- und Haltungstipp.

  1. Für diese Tätigkeitsübung setzen Sie sich bitte in einen bequemen Sessel.
  2. Setzen Sie sich so weit nach hinten, dass Ihr Gesäß an die Rückenlehne stößt. Die Sitzbeinhöcker sollten möglichst nah an der Rückenlehne sein. Ist die Sitzfläche des gewählten Sessels länger als Ihre Oberschenkel, so nehmen Sie ein Kissen, welches Sie an die Rückenlehne legen, zu Hilfe. Nun drückt Ihr Körpergewicht die Sitzbeinhöcker in die weiche Sitzfläche und verankert sie dort.
  3. Nun lehnen Sie sich nach hinten. Durch das Zurücklehnen entfernt sich Ihr Brustkorb vom Becken und der Rumpf geht in die Länge. Bei dieser Bewegung sollten Sie das Gewicht des gesamten oberen Rückens und des Schulterbereichs nach hinten an die Lehne abgeben. Bauch und Oberschenkel lassen Sie dabei ganz locker. Dadurch sinken die Sitzbeinhöcker noch etwas tiefer in die Sitzfläche ein und Ihr Becken ist zwischen Sitzfläche und Rückenlehne noch besser „fixiert“.

Das sollten Sie beachten:

Dadurch, dass die Sitzbeinhöcker verankert sind, wird verhindert, dass Ihr Becken nach hinten rollt oder nach vorne wegrutscht. Beim Sitzen mit Anlehnen wird Ihr Körper gleich zweifach gestützt. Einmal durch die Sitzfläche und einmal durch die Rückenlehne. Sie entlasten durch das Abgeben des Gewichts Ihres Schulterbereiches den unteren Rücken und dehnen gleichzeitig Ihren Rumpf in die Länge und strecken ihn.

Vergleichen Sie die beiden unteren Abbildungen miteinander. Links sehen Sie Ihre optimale, natürliche Sitzposition, die Sie mit den Tipps erreichen. Rechts sehen Sie, wie die Sitzbeinhöcker nach vorne gerutscht sind und das Becken dadurch nach hinten kippt. So kann es den Rumpf nicht mehr stützen. Dieser sackt in sich zusammen und wird durch die Schwerkraft gestaucht.

Im nächsten Artikel im Rolfing Blog geben wir Ihnen wertvolle Haltungs- und Bewegungstipps für die Abläufe des Aufstehens, Hinsetzens und Bückens.